Kapitel 1 Die Schale der Menschlichkeit
Tee war ursprünglich ein Heilmittel und entwickelte sich zu einem Getränk. In China wurde er im achten Jahrhundert als eine der vornehmen Vergnügungen in den Bereich der Poesie aufgenommen. Im fünfzehnten Jahrhundert wurde er in Japan zu einer Religion des Ästhetizismus geadelt – dem Teeismus. Der Teeismus ist ein Kult, der auf der Verehrung des Schönen inmitten der schäbigen Realität des täglichen Lebens beruht. Er propagiert Reinheit und Harmonie, das Geheimnis der gegenseitigen Nächstenliebe, die Romantik der sozialen Ordnung. Er ist im Wesentlichen eine Verehrung des Unvollkommenen, denn er ist ein liebevoller Versuch, in diesem unmöglichen Ding, das wir als Leben kennen, etwas Mögliches zu vollbringen.
Die Philosophie des Tees ist nicht bloßer Ästhetizismus im gewöhnlichen Sinne des Wortes, denn sie drückt zusammen mit Ethik und Religion unsere gesamte Sichtweise über Mensch und Natur aus. Sie ist Hygiene, denn sie erzwingt Sauberkeit; sie ist Ökonomie, denn sie zeigt Komfort in der Einfachheit statt im Komplexen und Teuren; sie ist moralische Geometrie, denn sie definiert unseren Sinn für das Verhältnis zum Universum. Sie verkörpert den wahren Geist der östlichen Demokratie, indem sie alle ihre Verehrer zu Aristokraten des Geschmacks macht.
Die lange Isolation Japans vom Rest der Welt, die so förderlich für die Selbstbeobachtung ist, hat die Entwicklung des Teeismus sehr begünstigt. Unser Haus und unsere Gewohnheiten, unsere Kleidung und unsere Küche, unser Porzellan, unser Lack, unsere Malerei, ja sogar unsere Literatur – all das wurde von ihm beeinflusst. Kein Student der japanischen Kultur könnte seine Präsenz jemals ignorieren. Sie hat die Eleganz vornehmer Boudoirs durchdrungen und ist in die Wohnräume der einfachen Leute eingedrungen. Unsere Bauern haben gelernt, Blumen zu arrangieren, und unser einfachster Arbeiter hat gelernt, den Felsen und dem Wasser seinen Gruß zu entbieten. In unserem allgemeinen Sprachgebrauch sprechen wir von einem Mann, der »keinen Tee« in sich hat, wenn er für die tragikomischen Belange des persönlichen Dramas unempfänglich ist. Wiederum stigmatisieren wir den ungezähmten Ästheten, der sich, ungeachtet der weltlichen Tragik, im Frühling den emanzipierten Gefühle hingibt, als einen, der »zu viel Tee« in sich hat.
Der Außenstehende mag sich in der Tat über diesen scheinbaren Wirbel um nichts wundern. »Was für ein Sturm in einer Teetasse!« wird er sagen. Aber wenn wir bedenken, wie klein die Tasse der menschlichen Freude doch ist, wie schnell sie mit Tränen überläuft, wie leicht sie in unserem ungestillten Durst nach Unendlichkeit bis zum Bodensatz geleert wird, werden wir uns nicht dafür tadeln, dass wir so viel aus der Teetasse machen. Die Menschheit hat Schlimmeres getan. In der Verehrung des Bacchus haben wir zu freizügig geopfert, und wir haben sogar das blutige Bild des Mars verklärt. Warum weihen wir uns nicht der Königin der Kamelien und schwelgen im warmen Strom der Sympathie, der von ihrem Altar fließt? Im flüssigen Bernstein des Elfenbein-Porzellans kann der Eingeweihte die süße Zurückhaltung des Konfuzius, die Schärfe des Laozi und das himmlisch Aroma des Sakyamuni selbst spüren.
Diejenigen, die die Kleinheit der großen Dinge in sich selbst nicht spüren können, neigen dazu, die Größe der kleinen Dinge in anderen zu übersehen. Der durchschnittliche Westler, in seiner glatten Selbstgefälligkeit, wird in der Teezeremonie nur ein weiteres Beispiel für die tausendundeine Merkwürdigkeit sehen, die für ihn die Seltsamkeit und Kindlichkeit des Ostens ausmacht. Er pflegte Japan als barbarisch zu bezeichnen, während es den sanften Künsten des Friedens frönte: er nennt es zivilisiert, seit es begann, auf den Schlachtfeldern der Mandschurei, massenhafte Gemetzel zu verüben. In letzter Zeit ist viel über den Kodex der Samurai gesprochen worden – die Kunst des Todes, die unsere Soldaten zur Selbstaufopferung treibt, aber dem Teeismus, der so viel von unserer Lebenskunst ausmacht, wurde kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Gerne würden wir Barbaren bleiben, wenn unser Anspruch auf Zivilisation auf dem grausamen Ruhm des Krieges beruhen würde. Gerne würden wir die Zeit abwarten, in der unserer Kunst und unseren Idealen der gebührende Respekt gezollt wird.
Wann wird der Westen den Osten verstehen oder versuchen, ihn zu verstehen? Wir Asiaten sind oft entsetzt über das merkwürdige Geflecht von Tatsachen und Fantasien, das man über uns gesponnen hat. Man stellt uns dar, als lebten wir vom Duft des Lotus, wenn nicht gar von Mäusen und Kakerlaken. Es handelt sich entweder um unfähigen Fanatismus oder um elende Wollust. Indische Spiritualität wurde als Ignoranz verspottet, chinesische Nüchternheit als Dummheit, japanischer Patriotismus als Ergebnis von Fatalismus. Man hat gesagt, dass wir aufgrund der Gefühllosigkeit unserer Nervenbahnen weniger empfindlich für Schmerzen und Wunden seien!
Warum amüsiert ihr euch nicht auf unsere Kosten? (warum solltet ihr euch nicht auf unsere Kosten amüsieren) Asien erwidert das Kompliment. Es gäbe noch mehr Anlass zur Heiterkeit, wenn Sie wüssten, was wir uns alles über Sie ausgedacht und geschrieben haben. All der Glanz der Perspektive ist da, all die unbewusste Huldigung des Staunens, all die stille Abneigung gegen das Neue und Unbestimmte. Sie sind mit Tugenden beladen worden, die zu fein sind, um beneidet zu werden, und mit Verbrechen, die zu pittoresk sind, um verurteilt zu werden. Unsere Schriftsteller der Vergangenheit – die Weisen, die es wussten – informierten uns, dass ihr buschige Schwänze habt, die irgendwo in euren Kleidern versteckt sind, und dass ihr oft von einem Frikassee aus neugeborenen Babys esst! Nein, wir hatten noch etwas Schlimmeres gegen euch: wir hielten euch für das unpraktikabelste Volk auf Erden, denn man sagte, ihr würdet predigen, was ihr nie praktiziert habt.
Solche Missverständnisse sind bei uns schnell verschwunden. Der Handel hat die europäischen Zungen in viele östliche Häfen gezwungen. Asiatische Jugendliche strömen in Scharen an westliche Hochschulen, um sich das Rüstzeug moderner Bildung zu holen. Unsere Einsicht dringt nicht tief in eure Kultur ein, aber zumindest sind wir bereit zu lernen. Einige meiner Landsleute haben zu viel von euren Sitten und Gebräuchen und zu viel von eurer Etikette übernommen, in der Einbildung, dass der Erwerb von steifen Kragen und hohen Seidenhüten die Erlangung eurer Zivilisation beinhaltet. So erbärmlich und bedauernswert solche Allüren auch sind, sie zeugen von unserer Bereitschaft, uns dem Westen auf Knien zu nähern. Leider ist die westliche Haltung für das Verständnis des Ostens ungünstig. Der christliche Missionar geht, um zu vermitteln, aber nicht, um zu empfangen. Ihre Informationen beruhen auf den dürftigen Übersetzungen unserer immensen Literatur, wenn nicht gar auf den unzuverlässigen Anekdoten vorbeikommenden Reisenden. Es ist selten, dass die ritterliche Feder eines Lafcadio Hearn oder die der Autorin von »The Web of Indian Life« die orientalische Dunkelheit mit der Fackel unserer eigenen Gesinnung erhellt. Vielleicht verrate ich meine eigene Unkenntnis des Teekults, wenn ich mich so offen äußere. Der Geist der Höflichkeit verlangt, dass man sagt was von einem erwartet wird, und nicht mehr. Aber ich will kein höflicher Teeist sein. Das gegenseitige Missverständnis zwischen der Neuen und der Alten Welt hat schon so viel Schaden angerichtet, dass man sich nicht entschuldigen muss, wenn man seinen Zehnt zur Förderung eines besseren Verständnisses beiträgt. Dem frühen 20. Jahrhundert wäre das Spektakel eines blutigen Krieges erspart geblieben, wenn Russland sich herabgelassen hätte, Japan besser zu verstehen. Welche schrecklichen Folgen hat es für die Menschheit, wenn man die Probleme des Ostens verächtlich ignoriert! Der europäische Imperialismus, der sich nicht scheut, das absurde Geschrei von der Gelben Gefahr zu erheben, verkennt, dass auch Asien das grausame Gefühl der Weißen Katastrophe bekommen kann. Ihr mögt uns auslachen, weil wir »zu viel Tee« haben, aber dürfen wir nicht vermuten, dass ihr im Westen »keinen Tee« in eurer Verfassung habt?
Lasst uns aufhören, die Kontinente mit Epigrammen zu bewerfen, und durch den gegenseitigen Gewinn einer halben Hemisphäre trauriger, wenn nicht klüger werden.
Wir haben uns auf unterschiedlichen Wegen entwickelt, aber es gibt keinen Grund, warum das eine das andere nicht ergänzen sollte. Ihr habt Expansion um den Preis der Unruhe erlangt; wir haben eine Harmonie geschaffen, die schwach gegen Aggression ist. Werden Sie es glauben? – Der Osten ist in mancher Hinsicht besser dran als der Westen!
Seltsamerweise hat sich die Menschheit bisher in der Teetasse getroffen. Es ist das einzige asiatische Zeremoniell, das universelle Wertschätzung genießt. Der weiße Mann hat unsere Religion und unsere Moral verhöhnt, aber das braune Getränk ohne Zögern akzeptiert. Der Nachmittagstee ist heute eine wichtige Funktion in der westlichen Gesellschaft. Das leise Klappern der Schalen und Untertassen, das sanfte Rascheln der weiblichen Gastfreundschaft, der gemeinsame Katechismus über Sahne und Zucker zeigen, dass die Verehrung des Tees außer Frage steht. Die philosophische Resignation des Gastes gegenüber dem Schicksal, das ihn in dem dubiosen Gebräu erwartet, verkündet, dass in diesem einen Fall der orientalische Geist die Oberhand hat.
Die früheste Erwähnung des Tees in europäischen Schriften soll in der Aussage eines arabischen Reisenden zu finden sein, dass nach dem Jahr 879 die Haupteinnahmequellen in Canton die Abgaben auf Salz und Tee waren. Marco Polo berichtet von der Absetzung eines chinesischen Finanzministers im Jahr 1285 wegen der willkürlichen Erhöhung der Teesteuern. Es war die Zeit der großen Entdeckungen, als die Europäer begannen, mehr über den äußersten Orient zu erfahren. Am Ende des 16. Jahrhunderts brachten die Holländer die Nachricht, dass im Osten, aus den Blättern eines Strauches ein angenehmes Getränk hergestellt wurde. Die Reisenden Giovanni Battista Ramusio (1559), L. Almeida (1576), Maffeno (1588) und Tareira (1610) erwähnten ebenfalls Tee. Im letztgenannten Jahr brachten Schiffe der Niederländischen Ostindien-Kompanie den ersten Tee nach Europa. In Frankreich war er 1636 bekannt, und 1638 erreichte er Russland. England nahm ihn 1650 auf und sprach von ihm als »Jenem ausgezeichneten und von allen Ärzten anerkannten chinesischen Getränk, das von den Chinesen Tcha und von anderen Nationen Tay, alias Tee, genannt wird«.
Wie alle guten Dinge der Welt stieß auch die Propaganda des Tees auf Widerstand. Ketzer wie Henry Saville (1678) prangerten das Teetrinken als schmutzige Sitte an. Jonas Hanway (»Essay on Tea«, 1756) meinte, dass Männer durch den Konsum von Tee ihre Statur und Anmut, und Frauen ihre Schönheit zu verlieren schienen. Seine anfänglichen Kosten (etwa fünfzehn oder sechzehn Shilling pro Pfund) verhinderten den Konsum in der Bevölkerung und machten ihn zu einer »Insigne für hohe Anlässe und Vergnügungen, das Prinzen und Granden geschenkt wird«. Doch trotz dieser Nachteile verbreitete sich das Teetrinken mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Die Kaffeehäuser Londons in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden zu Teehäusern, in denen sich Geister wie Addison und Steele bei einer »Tasse Tee« vergnügten. Das Getränk wurde bald zu einer Lebensnotwendigkeit – eine steuerpflichtige Angelegenheit. In diesem Zusammenhang werden wir daran erinnert, welche wichtige Rolle es in der modernen Geschichte spielt. Das koloniale Amerika fand sich mit der Unterdrückung ab, bis die menschliche Geduld vor den hohen Zöllen auf Tee kapitulierte. Die amerikanische Unabhängigkeit geht auf das Werfen von Teekisten in den Bostoner Hafen zurück.
Der Geschmack des Tees hat einen subtilen Reiz, der ihn unwiderstehlich und idealisierungsfähig macht. Westliche Humoristen haben nicht gezögert, den Duft ihrer Gedanken mit seinem Aroma zu vermischen. Er hat nicht die Arroganz des Weines, nicht das Selbstbewusstsein des Kaffees und auch nicht die alberne Unschuld des Kakaos. Schon 1711 schrieb der Spectator: »Ich möchte daher diese meine Spekulationen in besonderer Weise allen wohlgeordneten Familien empfehlen, die sich jeden Morgen eine Stunde Zeit für Tee, Brot und Butter nehmen, und ich möchte ihnen zu ihrem Besten ernsthaft raten, dieses Papier pünktlich servieren zu lassen und es als einen Teil der Tee-Ausstattung zu betrachten.« Samuel Johnson zeichnet sein eigenes Porträt als »ein abgehärteter und schamloser Teetrinker, der zwanzig Jahre lang seine Mahlzeiten nur mit dem Aufguss der faszinierenden Pflanze verdünnte; der mit Tee den Abend unterhielt, mit Tee die Mitternacht tröstete und mit Tee den Morgen begrüßte.«
Charles Lamb, ein bekennender Anhänger, brachte den wahren Ton des Teeismus zum Ausdruck, als er schrieb, das größte Vergnügen, das er kenne, sei es, heimlich eine gute Tat zu vollbringen, die dann durch Zufall entdeckt werde. Der Teeismus ist die Kunst, das Schöne zu verbergen, um es zu entdecken, und das zu suggerieren, was man nicht zu enthüllen wagt. Es ist das edle Geheimnis, über sich selbst zu lachen, ruhig und doch gründlich, und ist somit der Humor selbst – das Lächeln der Philosophie. Alle echten Humoristen kann man in diesem Sinne als Tee-Philosophen bezeichnen, Thackeray zum Beispiel, und natürlich Shakespeare. Die Dichter der Dekadenz (wann war die Welt nicht dekadent?) haben mit ihrem Protest gegen den Materialismus in gewisser Weise auch dem Teeismus den Weg geebnet. Vielleicht ist es heutzutage unsere nüchterne Betrachtung des Unvollkommenen, in der sich der Westen und der Osten in gegenseitigem Trost begegnen können.
Die Taoisten berichten, dass sich am großen Anfang des Nicht-Anfangs Geist und Materie in einem tödlichen Kampf gegenüberstanden. Schließlich triumphierte der Gelbe Kaiser, die Sonne des Himmels, über Shuhyung, den Dämon der Dunkelheit und der Erde. In seinem Todeskampf schlug der Titan sein Haupt gegen das Sonnengewölbe und ließ die blaue Jadekuppel in Stücke zerspringen. Die Sterne verloren ihre Nester, der Mond wanderte ziellos durch die wilden Abgründe der Nacht. Verzweifelt suchte der Gelbe Kaiser weit und breit nach dem Reparateur des Himmels. Er brauchte nicht vergeblich zu suchen. Aus dem östlichen Meer erhob sich eine Königin, die göttliche Niuka, horngekrönt und mit Drachenschwanz, prächtig in ihrer Feuerrüstung. Sie schweißte den fünffarbigen Regenbogen in ihrem magischen Kessel und baute den chinesischen Himmel wieder auf. Aber es wird erzählt, dass Niuka vergaß, zwei winzige Risse im blauen Firmament zu füllen. So begann der Dualismus der Liebe – zwei Seelen, die durch den Raum rollen und niemals zur Ruhe kommen, bis sie sich vereinen, um das Universum zu vollenden. Jeder muss sich seinen Himmel der Hoffnung und des Friedens neu aufbauen.
Der Himmel der modernen Menschheit ist in der Tat durch den zyklopischen Kampf um Reichtum und Macht zerbrochen. Die Welt tappt im Schatten von Egoismus und Vulgarität. Wissen wird mit schlechtem Gewissen erkauft, Wohlwollen um des Nutzens willen praktiziert. Der Osten und der Westen, wie zwei Drachen, die in einem Meer von Gärung hin- und hergeworfen werden, bemühen sich vergeblich, das Juwel des Lebens wiederzugewinnen. Wir brauchen wieder eine Niuka, um die große Verwüstung zu beheben; wir warten auf den großen Avatar. Lasst uns in der Zwischenzeit einen Schluck Tee trinken. Die Nachmittagsglut erhellt die Bambusse, die Brunnen sprudeln vor Freude, das Rauschen der Kiefern ist in unserem Kessel zu hören. Lasst uns von der Vergänglichkeit träumen und in der schönen Narrheit der Dinge verweilen.