Die Zeitmaschine

H. G. Wells (Autor), Denis Metzger (Übersetzung)

Inhaltsangabe

Kapitel 10 Die Flucht

»Gegen acht oder neun Uhr morgens kam ich an denselben Sitz aus gelbem Metall, von dem aus ich am Abend meiner Ankunft die Welt betrachtet hatte. Ich dachte an meine voreiligen Schlüsse an jenem Abend und konnte mir ein bitteres Lachen über mein Vertrauen nicht verkneifen. Hier war dieselbe schöne Szenerie, dasselbe üppige Laub, dieselben prächtigen Paläste und herrlichen Ruinen, derselbe silberne Fluss, der zwischen seinen fruchtbaren Ufern floss. Die fröhlichen Gewänder der schönen Menschen bewegten sich zwischen den Bäumen hin und her. Einige badeten genau an der Stelle, an der ich Weena gerettet hatte, und das versetzte mir plötzlich einen heftigen Stich in den Magen. Und wie Kleckse in der Landschaft erhoben sich die Kuppeln über den Wegen in die Unterwelt. Jetzt verstand ich, was all die Schönheit der Menschen in der Überwelt verbarg. Ihr Tag war sehr angenehm, so angenehm wie der Tag des Viehs auf der Weide. Wie das Vieh kannten sie keine Feinde und bereiteten sich nicht auf die Not vor. Und ihr Ende war dasselbe.

Ich war betrübt, als ich daran dachte, wie kurz der Traum des menschlichen Intellekts gewesen war. Er hatte Selbstmord begangen. Er hatte sich unbeirrt auf Bequemlichkeit und Komfort eingestellt, auf eine ausgeglichene Gesellschaft mit Sicherheit und Dauerhaftigkeit als Leitmotiv, er hatte seine Hoffnungen erfüllt – um letztendlich hier zu landen. Einst mussten Leben und Besitz fast absolute Sicherheit erreicht haben. Der Reiche war seines Reichtums und seines Komforts sicher, der Arbeiter seines Lebens und seiner Arbeit sicher. Zweifellos gab es in dieser perfekten Welt kein Arbeitslosenproblem, keine soziale Frage, die ungelöst geblieben wäre. Und es war eine große Ruhe eingekehrt.

Es ist ein Naturgesetz, das wir übersehen, dass intellektuelle Vielseitigkeit die Kompensation für Veränderung, Gefahr und Ärger ist. Ein Tier, das in perfekter Harmonie mit seiner Umgebung lebt, ist ein perfekter Mechanismus. Die Natur appelliert nie an die Intelligenz, bis Gewohnheit und Instinkt nutzlos sind. Es gibt keine Intelligenz, wo es keine Veränderung gibt und keine Notwendigkeit zur Veränderung besteht. Intelligenz haben nur die Tiere, die einer großen Vielfalt von Bedürfnissen und Gefahren begegnen müssen.

So, wie ich es sehe, war der Mensch in der Oberwelt zu seiner schwachen Schönheit und in der Unterwelt zu bloßer mechanischer Industrie gedriftet. Aber diesem vollkommenen Zustand fehlte selbst für die mechanische Vollkommenheit etwas – absolute Beständigkeit. Offensichtlich war die Ernährung der Unterwelt, wie auch immer sie zustande kam, im Laufe der Zeit aus den Fugen geraten. Mutter Notwendigkeit, die einige tausend Jahre lang aufgehalten worden war, kam zurück und begann unten. Da die Unterwelt mit Maschinen in Berührung war, die, so perfekt sie auch sein mochten, immer noch ein wenig Nachdenken außerhalb der Gewohnheit erforderten, hatte sie wahrscheinlich zwangsläufig etwas mehr Initiative, wenn auch weniger von jedem anderen menschlichen Charakter, als die Oberwelt bewahrt. Und wenn anderes Fleisch sie im Stich ließ, wandten sie sich dem zu, was die alte Gewohnheit bis dahin verboten hatte. So, sage ich, sah ich es bei meinem letzten Blick auf die Welt von achthundertzweitausendsiebenhundertundeins. Es mag eine so falsche Erklärung sein, wie sie der sterbliche Verstand nur erfinden kann. So hat sich die Sache mir dargestellt, und so gebe ich sie Ihnen.

Nach den Strapazen, Aufregungen und Schrecken der vergangenen Tage und trotz meines Kummers waren dieser Sitz, die ruhige Aussicht und das warme Sonnenlicht sehr angenehm. Ich war sehr müde und schläfrig, und bald ging mein Grübeln in ein Dösen über. Als ich mich dabei ertappte, befolgte ich meinen eigenen Rat und breitete mich auf dem Rasen aus, um einen langen und erholsamen Schlaf zu haben.

Ich wachte kurz vor Sonnenuntergang auf. Ich fühlte mich nun sicher, nicht von den Morlocks beim Schlafen erwischt zu werden, streckte mich und ging den Hügel hinunter in Richtung der Weißen Sphinx. In der einen Hand hatte ich meine Brechstange, mit der anderen spielte ich mit den Streichhölzern in meiner Tasche.

Und nun geschah etwas sehr Unerwartetes. Als ich mich dem Sockel der Sphinx näherte, stellte ich fest, dass die Bronzetüren offen waren. Sie waren in Rillen hinuntergerutscht. Ich blieb vor ihnen stehen und zögerte, einzutreten.

Im Inneren befand sich eine kleine Wohnung, und auf einem erhöhten Platz in der Ecke stand die Zeitmaschine. Ich hatte die kleinen Hebel in meiner Tasche. Hier also, nach all meinen aufwendigen Vorbereitungen für die Belagerung der Weißen Sphinx, erwartete mich eine widerstandslose Kapitulation. Ich warf meine Eisenstange weg und bereute es fast, sie nicht benutzt zu haben.

Ein plötzlicher Gedanke schoss mir durch den Kopf, als ich mich zum Zugang hinunterbeugte. Wenigstens einmal verstand ich die geistigen Handlungen der Morlocks. Ich unterdrückte einen starken Lachanfall und schritt durch den bronzenen Rahmen zur Zeitmaschine. Ich war überrascht, dass sie sorgfältig geölt und gereinigt worden war. Seitdem habe ich den Verdacht, dass die Morlocks sie sogar teilweise zerlegt hatten, während sie auf ihre undurchsichtige Weise versuchten, ihren Zweck zu begreifen.

Als ich nun dastand und sie untersuchte, wobei mir die bloße Berührung der Apparatur Freude bereitete, geschah das, was ich erwartet hatte. Die Bronzetafeln glitten plötzlich hoch und schlugen mit einem Klirren gegen den Rahmen. Ich saß im Dunkeln – gefangen. So dachten die Morlocks. Daraufhin kicherte ich vergnügt.

Ich hörte schon ihr murmelndes Lachen, als sie auf mich zukamen. In aller Ruhe versuchte ich, das Streichholz anzuzünden. Ich musste nur noch die Hebel ansetzen und dann wie ein Geist verschwinden. Aber ich hatte eine Kleinigkeit übersehen. Die Streichhölzer waren von der abscheulichen Sorte, die nur mit der Schachtel brennen.

Sie können sich vorstellen, wie mir die Ruhe wegblieb. Die kleinen Unmenschen waren mir dicht auf den Fersen. Einer berührte mich. Ich schlug in der Dunkelheit mit den Hebeln nach ihnen und begann, in den Sattel der Maschine zu klettern. Dann kam eine Hand auf mich zu und dann noch eine. Dann musste ich einfach gegen ihre hartnäckigen Finger nach meinen Hebeln kämpfen und gleichzeitig nach den Bolzen tasten, über die sie passten. Einen hätten sie mir sogar fast entrissen. Als er mir aus der Hand glitt, musste ich in der Dunkelheit mit dem Kopf dagegen stoßen – ich konnte den Schädel des Morlocks klingeln hören –, um ihn wiederzubekommen. Ich glaube, dieses letzte Gerangel war knapper als der Kampf im Wald.

Aber endlich war der Hebel angebracht und wurde umgelegt. Die klammernden Hände glitten von mir ab. Die Dunkelheit fiel von meinen Augen ab. Ich fand mich in demselben grauen Licht und Tumult wieder, den ich bereits beschrieben habe.