Teil 2 Kapitel 11
Am nächsten Nachmittag fand Niel Captain Forrester in dem buschigen kleinen Beet, das er seinen Rosengarten nannte, in einem robusten Hickory-Stuhl sitzend, den man bei jedem Wetter draußen stehen lassen konnte; seine beiden Stöcke neben sich. Sein Blick war auf einen roten Block aus Colorado-Sandstein gerichtet, der auf einem Granitblock in der Mitte des Kiesplatzes lag, um den herum die Rosen wuchsen. Er zeigte Niel, dass es sich um eine Sonnenuhr handelte, und erklärte sie mit großem Stolz. Im letzten Sommer, sagte er, habe er oft hier draußen gesessen, mit einer quadratischen Tafel, die an einem Pfosten befestigt war, und mit seiner Uhr die Länge des Schattens markiert. Sein Freund Cyrus Dalzell habe bei einem seiner Besuche diese Tafel mitgenommen, das Diagramm auf Sandstein kopiert und es ihm zusammen mit dem säulenartigen Felsblock, der seine Basis bildete, geschickt.
»Ich denke, Mr. Dalzell hat wahrscheinlich viele Morgen in den Bergen herumgejagt, bevor er eine natürliche Formation wie diese gefunden hat«, sagte der Captain. »Eine Säule, wie es sie zu biblischen Zeiten gab. Sie stammt aus dem Garten der Götter. Mr. Dalzell hat dort oben sein Sommerhaus.«
Der Captain saß mit angezogenen Stiefelsohlen und angewinkelten Beinen da. Alles an ihm schien schwerer und schwächer geworden zu sein. Sein Gesicht war fetter und glatter geworden, als ob die Züge ineinander liefen, wie wenn ein Wachsgesicht in der Hitze schmilzt. Ein alter Panamahut, von der Sonne gelb gebrannt, beschattete seine Augen. Seine braunen Hände lagen auf den Knien, die Finger weit gespreizt, kraftlos. Sein Schnurrbart hatte die gleiche strohige Farbe; Niel bemerkte, dass er nicht grauer geworden war. Der Captain berührte seine Wange mit seiner Handfläche. »Mrs. Forrester hat mich eine Zeit lang rasiert. Sie hat es sehr gut gemacht, aber ich mochte nicht, dass sie es tat. Jetzt benutze ich einen von diesen Sicherheitsrasierern. Ich schaffe es, wenn ich mir Zeit lasse. Der Barbier kommt einmal in der Woche vorbei. Mrs. Forrester erwartet dich, Niel. Sie ist unten im Hain. Sie ruht sich dort unten in der Hängematte aus.«
Niel ging um das Haus herum zu dem Tor, das in den Hain führte. Von der Spitze des Hügels aus konnte er die Hängematte sehen, die zwischen zwei Pappeln auf der niedrigen Lichtung am anderen Ende hing, wo er sich den Arm gebrochen hatte, als er gefallen war. Die schlanke weiße Gestalt war still, und als er über das Gras eilte, sah er, dass ein weißer Gartenhut über ihrem Gesicht lag. Er näherte sich leise und fragte sich gerade, ob sie schlief, als er ein leises, erfreutes Lachen hörte, und mit einer schnellen Bewegung warf sie den Hut ab, durch den sie ihn beobachtet hatte. Er trat vor und nahm ihre schwebende Gestalt mitsamt der Hängematte in seine Arme. Wie leicht und lebendig sie war: wie ein Vogel, der sich in einem Netz verfangen hat. Könnte er sie nur retten und sie auf diese Weise forttragen; fort von der Erde der traurigen, unvermeidlichen Zeiten; fort von Alter, Müdigkeit und unerwünschtem Schicksal!
Sie zeigte keine Ungeduld, freigelassen zu werden, sondern lag lachend vor ihm, mit jenem Schimmer von etwas elegant Wildem, etwas Fantastischem und Verlockendem – scheinbar so kunstlos, in Wirklichkeit das vollendetste Kunststück! Sie legte ihre Hand unter sein Kinn, als wäre er noch ein Junge.
»Und wie gut er aussieht! Ist der alte Richter nicht stolz auf dich! Gestern Abend rief er mich an und plapperte: ›Ich muss Sie warnen, Ma’am, ich habe hier einen sehr hübschen Jungen.‹ Als ob ich nicht gewusst hätte, dass du das wirst! Und jetzt bist du ein Mann und hast die Welt gesehen! Nun, was hast du darin gefunden?«
»Nichts so Schönes wie Sie, Mrs. Forrester.«
»Blödsinn! Hast du eine Liebste?«
»Vielleicht.«
»Sind sie hübsch?«
»Warum sie? Ist eine nicht genug?«
»Eine ist zu viel. Ich möchte, dass du ein halbes Dutzend hast und trotzdem das Beste für uns aufhebst! Eine würde alles nehmen. Wenn du sie hättest, wärst du gar nicht nach Hause gekommen. Ich frage mich, ob du weißt, wie sehr wir dich erwartet haben?« Sie nahm seine Hand und drehte abwesend einen Siegelring an seinem kleinen Finger herum. »Seit Wochen habe ich jede Nacht, wenn die Lichter des Zuges unten hinter den Wiesen auftauchten, zu mir gesagt: ›Niel kommt nach Hause, darauf können wir uns freuen.‹«
Sie ertappte sich, wie sie es immer tat, wenn sie merkte, dass sie zu viel erzählte, und endete in einem spielerischen Ton. »Du siehst also, du bedeutest uns allen sehr viel. Hast du Mr. Forrester gefunden?«
»Oh, ja! Ich musste anhalten und mir seine Sonnenuhr ansehen.«
Sie stützte sich auf den Ellbogen und senkte ihre Stimme. »Niel, kannst du das verstehen? Er ist nicht kindisch, wie manche Leute sagen, aber er sitzt da und schaut stundenlang auf dieses Ding. Wie kann es jemandem gefallen, wenn die Zeit sichtbar verschlungen wird? Wir sind alle daran gewöhnt, dass sich die Uhren drehen, aber warum will er sehen, wie der Schatten über diesen Stein kriecht? Hat er sich sehr verändert? Nein? Ich bin froh, dass du so denkst. Jetzt erzähl mir von den Adamses und wie George so ist.«
Niel ließ sich auf den Rasen fallen und setzte sich mit dem Rücken an einen Baumstamm, beantwortete ihre schnellen Fragen und beobachtete sie, während er sprach. Natürlich war sie älter. In der strahlenden Sonne des Nachmittags sah man, dass ihre Haut nicht mehr wie weißer Flieder aussah, sondern den elfenbeinfarbenen Ton von Gardenien hatte, die gerade zu verblassen begannen. Die blau-schwarze Haarspirale schien mehr denn je zu schwer für ihren Kopf zu sein. Um ihre Mundwinkel waren Falten zu sehen, die früher nicht da waren. Aber das Erstaunliche war, wie diese Veränderungen in einem Augenblick verschwinden konnten, in einem Aufblitzen der Persönlichkeit völlig ausgelöscht werden konnten, und man vergaß alles an ihr außer sie selbst.
»Und sag mal, Niel, rauchen die Frauen jetzt wirklich nach dem Essen mit den Männern, die netten Frauen? Ich würde es nicht mögen. Das ist ja schön und gut für Schauspielerinnen, aber Frauen können nicht attraktiv sein, wenn sie alles tun, was Männer tun.«
»Ich glaube, es ist gerade in Mode, dass Frauen sich vor allem wohl fühlen wollen.«
Mrs. Forrester schaute ihn an, als hätte er etwas Schockierendes gesagt. »Ah, das ist es ja gerade! Diese beiden Dinge passen nicht zusammen. Sport treiben, aufs College gehen und nach dem Essen rauchen – gefällt dir das? Mögen Männer es nicht, wenn Frauen anders sind als sie selbst? Früher schon.«
Niel lachte. Ja, das war sicherlich die Vorstellung der Generation von Mrs. Forrester.
»Mein Onkel sagt, dass Sie ihn nicht mehr so oft besuchen wie früher, Mrs. Forrester. Er vermisst es.«
»Mein lieber Junge, ich war schon seit sechs Wochen nicht mehr in der Stadt. Ich bin immer zu müde. Wir haben kein Pferd mehr, und wenn ich gehe, muss ich laufen. Dieses Haus! Nichts wird dort gemacht, wenn ich es nicht tue, und nichts bewegt sich, wenn ich es nicht bewege. Deshalb komme ich nachmittags hierher – damit ich das Haus nicht sehen muss. Ich kann es nicht so halten, wie es gehalten werden sollte, ich bin nicht stark genug. Oh ja, Ben hilft mir; er fegt und klopft die Teppiche und putzt die Fenster, aber das bringt das Haus nicht sehr weit.« Sie setzte sich auf und rückte ihren weißen Hut zurecht. »Wir sind den ganzen Weg nach Chicago gefahren, Niel, um diese Nussbaummöbel zu kaufen, weil wir zu Hause nichts finden konnten, was groß und schwer genug war. Wenn ich gewusst hätte, dass ich sie eines Tages herumschieben muss, wäre ich leichter zufrieden gewesen!« Sie stand auf und schüttelte ihre zerknitterten Röcke aus.
Sie machten sich auf den Weg zum Haus und gingen langsam die lange, grasbewachsene Hügelkette zwischen den Bäumen hinauf.
»Vermissen Sie den Sumpf nicht?« fragte Niel plötzlich.
Sie blickte ausweichend weg. »Nicht sehr. Ich hätte nie Zeit, dorthin zu gehen, und wir brauchen das Geld. Und du hast auch keine Zeit mehr zum Spielen, Niel. Du musst dich beeilen und ein erfolgreicher Mann werden. Dein Onkel ist furchtbar verstrickt. Er war so unvorsichtig, dass es ihm nicht viel besser geht als uns. Geld ist eine sehr wichtige Sache. Mach dir das von Anfang an klar; sieh es ein, und mach dich am Ende nicht lächerlich, wie so viele von uns.« Sie blieben am Tor auf der Spitze des Hügels stehen und blickten zurück auf die grünen Alleen und die scharfen Schatten, auf die zitternden Lichtfächer, die die Bäume weiter auseinander zu schieben schienen und elysische Gefilde unter sich schufen. Mrs. Forrester legte ihre weiße Hand mit all ihren Ringen auf Niels Arm.
»Findest du wirklich eine Art Freude daran, zu uns zu kommen? Das ist sehr ungewöhnlich, denke ich. In deinem Alter wollte ich mit den Jungen und Fröhlichen zusammen sein. Aber für uns ist es schön.« Sie sah ihn mit ihrem seltensten Lächeln an, einem Lächeln, das er selten auf ihrem Gesicht gesehen hatte, an das er sich aber immer erinnerte – ein Lächeln ohne Schalk, ohne Fröhlichkeit, voller Zuneigung und wehmütig traurig. Und dasselbe lag in ihrer Stimme, als sie diese leisen Worte sprach – die plötzliche Stille eines tiefen Gefühls. Sie wandte sich schnell ab. Sie gingen durch das Tor und um das Haus herum, wo der Captain saß und den Sonnenuntergang über seinen Rosen betrachtete. Seine Frau berührte ihn an der Schulter.
»Willst du jetzt hineingehen, Mr. Forrester, oder soll ich dir deinen Mantel bringen?«
»Ich werde hineingehen. Wird Niel nicht zum Essen bleiben?«
»Diesmal nicht. Er wird bald kommen, und wir werden ein richtiges Abendessen für ihn haben. Wirst du auf Mr. Forrester warten, Niel? Ich muss schnell rein und das Feuer anmachen.«
Niel blieb zurück und begleitete den Captain auf seinem langsamen Weg zur Vorderseite des Hauses. Er stützte sich auf zwei Stöcke, hob seine Füße langsam an und setzte sie fest und vorsichtig ab. Er sah aus wie ein alter Baum beim Gehen.
Als er die Treppe hinauf und in den Salon gekommen war, ließ er sich in seinen großen Sessel sinken und keuchte schwer. Der erste Hauch einer frischen Zigarre schien ihn zu beleben. »Darf ich dich bitten, ein paar Briefe für mich aufzugeben, Niel, wenn du bei der Post vorbeikommst?« Er holte sie aus der Brusttasche seines Sommermantels. »Lass mich sehen, ob Mrs. Forrester etwas zu versenden hat.« Der Captain erhob sich und ging in den kleinen Flur. Dort, neben der Eingangstür, auf einem Tisch unter der Hutablage, stand eine spärlich drapierte Gestalt. Ein arabisches oder ägyptisches Sklavenmädchen, das in ihren Händen eine große flache Muschel von der kalifornischen Küste hielt. Niel erinnerte sich daran, dass ihm diese Figur schon bei seinem ersten Besuch im Haus aufgefallen war, als Dr. Dennison ihn mit geschientem Arm durch diesen Flur hinausgetragen hatte. In den Tagen, als die Forresters noch Diener hatten und mehrmals am Tag in die Stadt fuhren, wurden die Briefe für die Post immer in dieser Schale hinterlassen. Der Captain fand einen und reichte ihn Niel. Er war an Mr. Francis Bosworth Ellinger, Glenwood Springs, Colorado, adressiert.
Aus irgendeinem Grund fühlte sich Niel peinlich berührt und versuchte, den Brief schnell in seine Tasche zu stecken. Der Captain, seine beiden Stöcke in einer Hand, hielt ihn davon ab. Er nahm den hellblauen Umschlag wieder an sich, hielt ihn in Armeslänge vor sich und betrachtete ihn.
»Mrs. Forrester hat eine sehr schöne Handschrift, ist dir das schon einmal aufgefallen? Das hatte sie schon immer. Wenn sie mir eine Liste mit Artikeln machte, die ich im Laden besorgen sollte, musste ich sie nie verstecken. Es war wie ein Kupferstich. Das ist außergewöhnlich bei einer Frau, Niel.«
Niel erinnerte sich gut an ihre Hand, er hatte nie eine andere gesehen, die ihr auch nur im Geringsten glich: lange, dünne, kantige Buchstaben, seltsam zart und seltsam kühn, geschlungen und geschnürt mit haarfeinen Strichen, die sich perfekt unterscheiden ließen. Ihre Schrift sah aus, als sei sie mit hoher Geschwindigkeit geschrieben worden, die Feder von einer selbstsicheren Gewandtheit geführt.
»Oh, ja, Captain! Ich kann keine Briefe für Mrs. Forrester entgegennehmen, ohne sie anzusehen. Keiner könnte ihre Schrift vergessen.«
»Ja. Sie ist sehr außergewöhnlich.« Der Captain gab ihm den Umschlag und ging mit seinen Stöcken langsam zu seinem großen Stuhl.
Niel hatte sich oft gefragt, wie viel der Captain wusste. Jetzt, als er den Hügel hinunterging, war er sich sicher, dass er alles wusste; mehr als jeder andere; alles, was es über Marian Forrester zu wissen gab.