Ethan Frome

Edith Wharton (Autorin), Denis Metzger (Übersetzung)

Inhaltsangabe

Kapitel 9

An der Küchentür saß Daniel Byrne in seinem Schlitten hinter einem großknochigen Grauen, der den Schnee scharrte und seinen langen Kopf unruhig hin und her schwenkte.

Ethan ging in die Küche und fand seine Frau am Ofen. Ihr Kopf war in ihren Schal gehüllt, und sie las ein Buch mit dem Titel »Nierenleiden und ihre Heilung«, für das er erst vor ein paar Tagen extra Porto hatte zahlen müssen.

Zeena bewegte sich nicht und sah nicht auf, als er eintrat, und nach einem Moment fragte er: »Wo ist Mattie?«

Ohne den Blick von der Seite zu nehmen, antwortete sie: »Ich nehme an, sie holt ihren Koffer herunter.«

Das Blut schoss ihm ins Gesicht. »Sie holt ihren Koffer herunter – allein?«

»Jotham Powell ist unten auf dem Holzplatz, und Dan’l Byrne sagt, er traut sich nicht, das Pferd alleinzulassen«, gab sie zurück.

Ihr Mann hatte, ohne auf das Ende des Satzes zu achten, die Küche verlassen und war die Treppe hinaufgesprungen. Die Tür von Matties Zimmer war geschlossen, und er schwankte einen Moment im Flur. »Matt«, sagte er mit leiser Stimme, aber es kam keine Antwort, und er legte die Hand auf den Türknauf.

Er war noch nie in ihrem Zimmer gewesen, außer einmal im Frühsommer, als er dorthin gegangen war, um ein Leck in der Dachrinne zu verputzen, aber er erinnerte sich genau daran, wie alles ausgesehen hatte: die rot-weiße Steppdecke auf ihrem schmalen Bett, das hübsche Nadelkissen auf der Kommode und darüber das vergrößerte Foto ihrer Mutter in einem oxidierten Rahmen mit einem Strauß gefärbter Gräser auf der Rückseite. Jetzt waren diese und alle anderen Zeichen ihrer Anwesenheit verschwunden, und das Zimmer sah so kahl und ungemütlich aus wie am Tag ihrer Ankunft, als Zeena es ihr gezeigt hatte. In der Mitte des Fußbodens stand ihre Truhe, und darauf saß sie in ihrem Sonntagskleid, den Rücken zur Tür gewandt und das Gesicht in die Hände gestützt. Sie hatte Ethans Ruf nicht gehört, weil sie schluchzte, und sie hörte auch seine Schritte nicht, bis er dicht hinter ihr stand und seine Hände auf ihre Schultern legte.

»Matt – nicht – oh, Matt!«

Sie richtete sich auf und hob ihr nasses Gesicht zu seinem. »Ethan – ich dachte, ich würde dich nie mehr wiedersehen!«

Er nahm sie in die Arme, drückte sie an sich und strich ihr mit zitternder Hand die Haare aus der Stirn.

»Mich nicht mehr sehen? Was meinst du damit?«

Sie schluchzte auf: »Jotham sagte, du hättest ihm gesagt, dass wir nicht mit dem Abendessen auf dich warten sollten, und ich dachte ...«

»Du dachtest, ich wollte es auslassen?«, beendete er für sie trostlos.

Sie klammerte sich an ihn, ohne zu antworten, und er legte seine Lippen auf ihr Haar, das weich und doch federnd war, wie bestimmte Moose an warmen Hängen, und das den schwachen, holzigen Duft von frischem Sägemehl in der Sonne hatte.

Durch die Tür hörten sie Zeenas Stimme von unten herauf rufen: »Dan’l Byrne sagt, ihr solltet euch beeilen, wenn ihr wollt, dass er den Koffer mitnimmt.«

Mit ergriffenen Gesichtern gingen sie auseinander. Die Worte des Widerstands erhoben sich auf Ethans Lippen und erstarben dort. Mattie fand ihr Taschentuch und trocknete sich die Augen; dann bückte sie sich und griff nach einem Griff der Truhe.

Ethan schob sie zur Seite. »Lass los, Matt.«

»Man braucht zwei, um ihn um die Ecke zu bringen.« Diesem Argument nachgebend, ergriff er den anderen Griff, und gemeinsam manövrierten sie die schwere Truhe auf den Flur.

»Jetzt lass los«, wiederholte er, schulterte die Truhe und trug sie die Treppe hinunter, durch den Gang in die Küche. Zeena, die sich auf ihren Platz am Ofen zurückgezogen hatte, sah stur auf ihr Buch, als er vorbeiging. Mattie folgte ihm zur Tür hinaus und half ihm, die Truhe hinten auf den Schlitten zu heben. Als er an seinem Platz war, standen sie Seite an Seite auf der Türschwelle und sahen zu, wie Daniel Byrne hinter seinem unruhigen Pferd davonstürmte.

Es schien Ethan, als sei sein Herz mit Stricken gefesselt, die eine unsichtbare Hand mit jedem Ticken der Uhr enger zog. Zweimal öffnete er die Lippen, um mit Mattie zu sprechen, fand aber keinen Atem. Als sie sich schließlich umdrehte, um das Haus wieder zu betreten, drückte er ihr die Hand.

»Ich fahre dich rüber, Matt«, flüsterte er.

Sie murmelte zurück: »Ich glaube, Zeena will, dass ich mit Jotham fahre.«

»Ich fahre dich rüber«, wiederholte er, und sie ging ohne zu antworten in die Küche.

Beim Abendessen konnte Ethan nicht essen. Wenn er den Blick hob, blieb er auf Zeenas verkniffenem Gesicht hängen, und die Ecken ihrer geraden Lippen schienen sich zu einem Lächeln zu verziehen. Sie aß gut und erklärte, dass sie sich wegen des milden Wetters besser fühlte, und drängte Jotham Powell, dessen Wünsche sie im Allgemeinen ignorierte, eine zweite Portion Bohnen auf.

Als das Essen beendet war, machte sich Mattie an ihre übliche Aufgabe, den Tisch abzuräumen und das Geschirr abzuwaschen. Nachdem Zeena die Katze gefüttert hatte, kehrte sie in ihren Schaukelstuhl am Ofen zurück, und Jotham Powell, der immer als Letzter verweilte, schob seinen Stuhl widerwillig zurück und ging zur Tür.

Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um und sagte zu Ethan: »Wann soll ich Mattie abholen?«

Ethan stand in der Nähe des Fensters und füllte mechanisch seine Pfeife, während er Mattie beobachtete, wie sie hin und her ging. »Du brauchst nicht zu kommen, ich fahre sie selbst rüber.«

Er sah, wie die Farbe in Matties abgewandter Wange aufstieg und wie Zeena schnell den Kopf hob.

»Ich möchte, dass du heute Nachmittag hier bleibst, Ethan«, sagte seine Frau. »Jotham kann Mattie rüberfahren.«

Mattie warf ihm einen flehenden Blick zu, aber er wiederholte knapp: »Ich werde sie selbst hinfahren.«

Zeena fuhr in demselben gleichmäßigen Ton fort: »Ich wollte, dass du bleibst und den Ofen in Matties Zimmer reparierst, bevor das Mädchen kommt. Er zieht jetzt schon fast einen Monat nicht mehr richtig.«

Ethans Stimme erhob sich verärgert. »Wenn es für Mattie gut genug war, dann ist es wohl auch gut genug für ein Dienstmädchen.«

»Das Mädchen, das jetzt kommt, hat mir erzählt, dass sie an ein Haus mit Heizung gewöhnt ist«, beharrte Zeena mit der gleichen monotonen Milde.

»Dann wäre sie besser dort geblieben«, schleuderte er ihr entgegen, und an Mattie gewandt fügte er mit harter Stimme hinzu: »Sei um drei Uhr fertig, Matt; ich habe in Corbury was zu erledigen.«

Jotham Powell hatte sich auf den Weg zur Scheune gemacht, und Ethan schritt wutentbrannt hinter ihm her. Der Puls in seinen Schläfen pochte und ein Nebel lag in seinen Augen. Er ging seiner Aufgabe nach, ohne zu wissen, welche Kraft ihn leitete oder wessen Hände und Füße ihre Befehle ausführten. Erst als er den Fuchs herausführte und ihn zwischen die Deichsel des Schlittens spannte, wurde ihm wieder bewusst, was er tat. Als er das Zaumzeug über den Kopf des Pferdes führte und die Zügel um die Deichsel wickelte, erinnerte er sich an den Tag, an dem er die gleichen Vorbereitungen getroffen hatte, um die Cousine seiner Frau in den Flats abzuholen. Das war vor etwas mehr als einem Jahr gewesen, an genau so einem milden Nachmittag, mit einem Hauch von Frühling in der Luft. Der Fuchs blickte ihn mit denselben großen Augenringen an, beschnüffelte seine Handfläche auf dieselbe Weise, und nach und nach erhoben sich alle Tage, die dazwischen lagen, und standen vor ihm.

Er warf das Bärenfell in den Schlitten, kletterte auf den Sitz und fuhr zum Haus hinauf. Als er die Küche betrat, war sie leer, aber Matties Tasche und Schal lagen neben der Tür bereit. Er ging an den Fuß der Treppe und lauschte. Von oben drang kein Geräusch zu ihm durch, aber bald glaubte er, jemanden in seinem verlassenen Arbeitszimmer herumlaufen zu hören, und als er die Tür aufstieß, sah er Mattie in Hut und Jacke mit dem Rücken zu ihm am Tisch stehen.

Sein Auftauchen erschreckte sie, und sie drehte sich schnell um und sagte: »Ist es so weit?«

»Was machst du hier, Matt?«

Sie schaute ihn ängstlich an. »Ich habe mich nur umgesehen – das ist alles«, antwortete sie mit einem unschlüssigen Lächeln.

Ohne ein Wort zu sagen, gingen sie zurück in die Küche, und Ethan nahm ihre Tasche und ihren Schal an sich.

»Wo ist Zeena?«, fragte er.

»Sie ist gleich nach dem Essen nach oben gegangen. Sie sagte, sie habe wieder diese stechenden Schmerzen und wolle nicht gestört werden.«

»Hat sie sich nicht von dir verabschiedet?«

»Nein. Das war alles, was sie sagte.«

Ethan schaute sich langsam in der Küche um und dachte mit einem Schaudern daran, dass er in ein paar Stunden allein dorthin zurückkehren würde. Dann überkam ihn wieder das Gefühl der Unwirklichkeit, und er konnte sich nicht vorstellen, dass Mattie zum letzten Mal vor ihm stand.

»Komm schon«, sagte er fast fröhlich, öffnete die Tür und stellte ihre Tasche in den Schlitten. Er sprang auf seinen Sitz und beugte sich vor, um die Decke über sie zu legen, als sie an seiner Seite Platz nahm. »Nun denn, los geht’s«, sagte er mit einem Rütteln an den Zügeln, das den Fuchs gemächlich den Hügel hinuntertrotten ließ.

»Wir haben noch viel Zeit für einen guten Ritt, Matt!«, rief er, suchte ihre Hand unter dem Fell und drückte sie. Sein Gesicht kribbelte und er fühlte sich schwindelig, als hätte er an einem Null-Grad-Tag im Starkfield-Saloon auf einen Drink vorbeigeschaut.

Am Tor lenkte er, anstatt Richtung Starkfield zu fahren, den Fuchs nach rechts, die Straße nach Bettsbridge hinauf. Mattie saß schweigend da, ohne ein Zeichen der Überraschung zu geben, aber nach einem Moment sagte sie: »Fährst du am Shadow Pond vorbei?«

Er lachte und antwortete: »Ich wusste, du würdest es wissen!«

Sie rückte unter dem Bärenfell näher heran, sodass er, wenn er seitlich um seinen Mantelärmel herumschaute, gerade noch ihre Nasenspitze und eine wehende braune Haarsträhne erkennen konnte. Sie fuhren langsam die Straße hinauf, zwischen Feldern hindurch, die in der fahlen Sonne glitzerten, und bogen dann nach rechts in einen von Fichten und Lärchen gesäumten Weg ein. Vor ihnen lag in weiter Ferne eine Hügelkette, die sich in runden, weißen Kurven gegen den Himmel abhob und mit schwarzen Waldflecken übersät war. Der Weg führte in einen Kiefernwald, dessen Baumstämme sich in der Nachmittagssonne rötlich färbten und zarte blaue Schatten auf den Schnee warfen. Als sie ihn betraten, wehte ein leichter Wind, und eine warme Stille schien mit den fallenden Nadeln von den Ästen zu fallen. Hier war der Schnee so rein, dass die winzigen Spuren der Waldtiere verschlungene, schnurartige Muster darauf hinterlassen hatten, und die bläulichen Kegel, die sich in der Oberfläche verfangen hatten, hoben sich ab wie Ornamente aus Bronze.

Ethan fuhr schweigend weiter, bis sie einen Teil des Waldes erreichten, in dem die Kiefern in größeren Abständen standen; dann hielt er an und half Mattie beim Aussteigen aus dem Schlitten. Sie gingen zwischen den duftenden Stämmen hindurch, wobei der Schnee unter ihren Füßen knirschte, bis sie zu einem kleinen Gewässer mit steilen bewaldeten Hängen kamen. Über seine gefrorene Oberfläche warf ein einzelner Hügel, der sich gegen die westliche Sonne erhob, den langen, kegelförmigen Schatten, der dem See seinen Namen gab. Es war ein schüchterner, geheimer Ort, der von derselben stummen Melancholie erfüllt war, die Ethan in seinem Herzen spürte.

Er schaute den kleinen Kiesstrand auf und ab, bis sein Blick auf einen umgestürzten Baumstamm fiel, der halb im Schnee versunken war.

»Dort haben wir beim Picknick gesessen«, erinnerte er sie.

Die Veranstaltung, von der er sprach, war eine der wenigen, an denen sie gemeinsam teilgenommen hatten: ein »Kirchenpicknick«, das an einem langen Nachmittag des vorangegangenen Sommers den zurückgezogenen Ort mit fröhlichem Treiben erfüllt hatte. Mattie hatte ihn gebeten, mit ihr zu gehen, aber er hatte abgelehnt. Dann, gegen Sonnenuntergang, als er vom Berg herunterkam, wo er Holz geschlagen hatte, war er von einigen streunenden Nachtschwärmern eingeholt und in die Gruppe am See gezogen worden, wo Mattie, umringt von scherzhaften Jugendlichen und hell wie eine Brombeere unter ihrem breiten Hut, Kaffee über einem Lagerfeuer kochte. Er erinnerte sich an die Schüchternheit, die er empfunden hatte, als er sich ihr in seiner ungehobelten Kleidung genähert hatte, und dann an das Aufleuchten ihres Gesichts und die Art, wie sie die Gruppe durchbrochen hatte, um mit einer Tasse in der Hand zu ihm zu kommen. Sie hatten ein paar Minuten auf dem umgestürzten Baumstamm am Teich gesessen, als sie ihr goldenes Medaillon vermisste und die jungen Männer auf die Suche danach geschickt hatte, und Ethan war es, der es im Moos entdeckt hatte. Das war alles, aber ihr ganzer Verkehr hatte aus genau solchen unartikulierten Momenten bestanden, wenn sie plötzlich über das Glück zu stolpern schienen, als hätten sie einen Schmetterling im Winterwald überrascht.

»Genau dort habe ich dein Medaillon gefunden«, sagte er und stieß seinen Fuß in ein dichtes Büschel Heidelbeerbüsche.

»Ich habe noch nie jemanden mit so scharfen Augen gesehen!«, antwortete sie.

Sie setzte sich auf den Baumstamm in der Sonne und er setzte sich neben sie.

»Du warst so hübsch wie ein Bild in diesem rosa Hut«, sagte er.

Sie lachte vor Vergnügen. »Oh, ich glaube, es war der Hut«, erwiderte sie.

Noch nie zuvor hatten sie ihre Zuneigung so offen bekannt, und einen Moment lang hatte Ethan die Illusion, ein freier Mann zu sein, der das Mädchen umwirbt, das er heiraten will. Er betrachtete ihr Haar und sehnte sich danach, es wieder zu berühren und ihr zu sagen, dass es nach Wald duftete, aber er hatte nie gelernt, solche Dinge zu sagen.

Plötzlich richtete sie sich auf und sagte: »Wir dürfen hier nicht länger bleiben.«

Er starrte sie weiterhin vage an, nur halb aus seinem Traum aufgewacht. »Wir haben noch viel Zeit.«

Sie standen da und sahen sich an, als ob ihre Augen das Bild des anderen aufnehmen und festhalten wollten. Es gab Dinge, die er ihr sagen musste, bevor sie sich trennten, aber er konnte sie nicht an diesem Ort der Sommererinnerungen sagen, und er drehte sich um und folgte ihr schweigend zum Schlitten.

Während sie davonfuhren, versank die Sonne hinter den Hügeln, und die Kiefern färbten sich rot und grau. Auf einem verschlagenen Pfad zwischen den Feldern schlängelten sie sich zurück zur Straße nach Starkfield. Unter dem offenen Himmel war das Licht noch klar, und die östlichen Hügel spiegelten sich in einem kalten Rot. Die Baumgruppen im Schnee schienen sich zu kräuselnden Klumpen zusammenzuziehen, wie Vögel mit ihren Köpfen unter den Flügeln, und der Himmel, der immer blasser wurde, stieg höher und ließ die Erde einsamer werden.

Als sie in die Straße nach Starkfield einbogen, sagte Ethan: »Matt, was hast du vor?«

Sie antwortete nicht sofort, aber schließlich sagte sie: »Ich werde versuchen, eine Stelle in einem Laden zu bekommen.«

»Du weißt, dass du das nicht kannst. Die schlechte Luft und das ständige Stehen haben dich schonmal fast umgebracht.«

»Ich bin viel stärker als vor meiner Ankunft in Starkfield.«

»Und jetzt willst du all das Gute, das es dir gebracht hat, wegwerfen!«

Darauf schien es keine Antwort zu geben, und wieder fuhren sie eine Weile weiter, ohne zu sprechen. Bei jedem Meter des Weges griff eine Stelle, an der sie gestanden und zusammen gelacht oder geschwiegen hatten, nach Ethan und zog ihn zurück.

»Gibt es denn niemanden von den Leuten deines Vaters, der dir helfen könnte?«

»Es gibt keinen von ihnen, den ich fragen würde.«

Er senkte seine Stimme und sagte: »Du weißt, es gibt nichts, was ich nicht für dich tun würde, wenn ich könnte.«

»Ich weiß.«

»Aber ich kann nicht –»

Sie schwieg, aber er spürte ein leichtes Zittern der Schulter an seiner.

»Oh, Matt«, brach er aus, »wenn ich jetzt mit dir gehen könnte, würde ich es tun.«

Sie wandte sich ihm zu und zog ein Stück Papier aus ihrer Brusttasche. »Ethan – ich habe das gefunden«, stammelte sie.

Selbst im schwachen Licht sah er, dass es der Brief an seine Frau war, den er am Abend zuvor begonnen und vergessen hatte zu vernichten. Sein Erstaunen wurde von einem heftigen Schauer der Freude durchzogen. »Matt –», rief er, »wenn ich es gekonnt hätte, hättest du es getan?«

»Oh, Ethan, Ethan – was soll das bringen?« Mit einer plötzlichen Bewegung zerriss sie den Brief in Stücke und ließ sie in den Schnee flattern.

»Sag es mir, Matt! Sag es mir!«, beschwor er sie.

Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie in einem so leisen Ton, dass er den Kopf neigen musste, um sie zu hören: »Ich habe manchmal daran gedacht, in Sommernächten, wenn der Mond so hell war, dass ich nicht schlafen konnte.«

Sein Herz klopfte wie wild, so süß war es. »So lange ist das her?«

Sie antwortete, als ob das Datum für sie schon lange feststünde: »Das erste Mal war am Shadow Pond.«

»Hast du mir deshalb den Kaffee vor den anderen gegeben?«

»Ich weiß es nicht. Habe ich das? Ich war furchtbar verärgert, als du nicht mit mir zum Picknick gehen wolltest, und dann, als ich dich die Straße hinunterkommen sah, dachte ich, dass du vielleicht absichtlich diesen Weg nach Hause gegangen bist, und das machte mich froh.«

Sie schwiegen wieder. Sie hatten die Stelle erreicht, an der die Straße in die Senke bei Ethans Mühle eintauchte, und als sie hinunterfuhren, senkte sich die Dunkelheit mit ihnen, wie ein schwarzer Schleier von den schweren Schierlingszweigen herab.

»Ich bin an Händen und Füßen gefesselt, Matt. Es gibt nichts, was ich tun könnte«, begann er wieder.

»Du musst mir manchmal schreiben, Ethan.«

»Oh, wozu soll Schreiben gut sein? Ich möchte meine Hand ausstrecken und dich berühren. Ich möchte etwas für dich tun und für dich sorgen. Ich möchte für dich da sein, wenn du krank bist und wenn du einsam bist.«

»Du darfst nur daran denke, dass es mir gut gehen wird.«

»Du meinst, du wirst mich nicht brauchen? Ich nehme an, du wirst heiraten!«

»Oh, Ethan!«, rief sie.

»Ich weiß nicht, wie ich mich bei dir fühle, Matt. Ich hätte dich lieber tot als das!«

»Oh, ich wünschte, ich wäre es – ich wünschte, ich wäre es!«, schluchzte sie.

Der Klang ihres Weinens rüttelte ihn aus seiner dunklen Wut auf und er schämte sich.

»Lass uns nicht so reden«, flüsterte er.

»Warum sollten wir nicht, wenn es doch wahr ist? Ich habe es mir jede Minute des Tages gewünscht.«

»Matt! Sei still! Sag’s nicht.«

»Es gab noch nie jemanden, der gut zu mir war, außer dir.«

»Das darfst du auch nicht sagen, wenn ich keine Hand für dich heben kann!«

»Ja, aber es ist trotzdem wahr.«

Sie hatten die Spitze von School House Hill erreicht und Starkfield lag unter ihnen in der Dämmerung. Ein Cutter, der die Straße vom Dorf heraufkam, fuhr unter fröhlichem Glockengeläut an ihnen vorbei, und sie richteten sich auf und blickten mit starren Gesichtern nach vorn. Entlang der Hauptstraße begannen die Lichter von den Häuserfronten zu leuchten, und hier und da bogen verirrte Gestalten an den Toren ein. Mit einem Peitschenhieb trieb Ethan den Fuchs zu einem gemächlichen Trab an.

Als sie sich dem Ende des Dorfes näherten, hörten sie Kindergeschrei, und sie sahen eine Gruppe von Jungen, die mit ihren Schlitten über den freien Platz vor der Kirche zogen.

»Ich schätze, das wird für ein oder zwei Tage ihre letzte Fahrt sein«, sagte Ethan und blickte in den milden Himmel.

Mattie schwieg, und er fügte hinzu: »Wir hätten gestern Abend fahren sollen.«

Sie sprach immer noch nicht, und er fuhr, von dem unbestimmten Wunsch beseelt, sich und ihr über ihre letzte Stunde hinwegzuhelfen, abschweifend fort: »Ist es nicht komisch, dass wir im letzten Winter nur ein einziges Mal zusammen unten waren?«

Sie antwortete: »Ich war nicht oft unten im Dorf.«

»Das stimmt.«, sagte er.

Sie hatten den Kamm der Corbury Road erreicht, und zwischen dem undeutlichen weißen Schimmer der Kirche und dem schwarzen Vorhang der Varnum-Fichten dehnte sich der Hang unter ihnen aus, ohne dass ein Schlitten zu sehen war. Ein unkontrollierbarer Impuls veranlasste Ethan zu sagen: »Möchtest du, dass ich dich jetzt runterbringe?«

Sie erzwang ein Lachen. »Wir haben doch keine Zeit!«

»Wir haben so viel Zeit, wie wir wollen. Komm mit!« Sein einziger Wunsch war es jetzt, den Moment hinauszuzögern, in dem er den Fuchs in Richtung der Flats lenken würde.

»Aber das Mädchen«, zögerte sie. »Das Mädchen wird am Bahnhof warten.«

»Dann lass sie warten. Du müsstest es sonst tun. Komm!«

Der Ton der Autorität in seiner Stimme schien sie zu besänftigen, und als er vom Schlitten gesprungen war, ließ sie sich beim Aussteigen helfen und sagte nur mit einem vagen Anflug von Widerwillen: »Aber hier ist doch nirgendwo ein Schlitten.«

»Doch, da ist einer! Gleich da drüben unter den Fichten.« Er warf das Bärenfell über den Fuchs, der passiv am Straßenrand stand und nachdenklich den Kopf hängen ließ. Dann ergriff er Matties Hand und zog sie hinter sich her zum Schlitten.

Sie setzte sich gehorsam hin, und er nahm hinter ihr Platz, so nah, dass ihr Haar sein Gesicht berührte. »Bereit, Matt?«, rief er, als ob die Breite der Straße zwischen ihnen gewesen wäre.

Sie drehte ihren Kopf und sagte: »Es ist furchtbar dunkel. Bist du sicher, dass du etwas sehen kannst?«

Er lachte verächtlich: »Ich könnte mit verbundenen Augen an diese Bahn hinunterfahren!«, und sie lachte mit ihm, als ob sie seine Kühnheit mochte. Trotzdem saß er noch einen Moment still und ließ seinen Blick den langen Hügel hinunterschweifen, denn es war die verwirrendste Stunde des Abends, die Stunde, in der die letzte Klarheit des oberen Himmels mit der aufsteigenden Nacht zu einer Unschärfe verschmilzt, die die Orientierungspunkte verdeckt und die Entfernungen verfälscht.

»Jetzt!«, rief er.

Der Schlitten setzte sich mit Schwung in Bewegung, und sie flogen durch die Dämmerung, wurden immer geschmeidiger und schneller, während sich unter ihnen die hohle Nacht öffnete und die Luft wie eine Orgel sang. Mattie saß vollkommen still, aber als sie die Kurve am Fuß des Hügels erreichten, wo die große Ulme einen tödlichen Ellbogen ausstreckte, glaubte er, dass sie ein wenig näher rutschte.

»Hab keine Angst, Matt!«, rief er begeistert, als sie sicher an der Ulme vorbei- und den zweiten Abhang hinunterflogen, und als sie das flache Gelände dahinter erreichten und die Geschwindigkeit des Schlittens nachließ, hörte er sie ein kleines Lachen der Freude ausstoßen.

Sie sprangen ab und begannen, den Hügel wieder hinaufzulaufen. Ethan zog den Schlitten mit einer Hand und führte die andere durch Matties Arm.

»Hattest du Angst, ich würde dich in die Ulme fahren?«, fragte er mit einem jungenhaften Lachen.

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich bei dir nie Angst habe«, antwortete sie.

Das seltsame Hochgefühl hatte einen seiner seltenen Anfälle von Prahlerei hervorgerufen. »Es ist allerdings ein heikles Pflaster. Der kleinste Schlenker, und wir wären nie wieder hochgekommen. Aber ich kann Entfernungen bis auf eine Haaresbreite einschätzen – das konnte ich schon immer.«

Sie murmelte: »Ich sage immer, du hast das sicherste Auge.«

Tiefes Schweigen war mit der sternlosen Dämmerung eingetreten, und sie lehnten sich aneinander, ohne zu sprechen, aber bei jedem Schritt ihres Aufstiegs sagte Ethan zu sich selbst: »Es ist das letzte Mal, dass wir zusammen gehen.«

Sie stiegen langsam zum Gipfel des Hügels hinauf. Als sie die Kirche erreicht hatten, beugte er den Kopf zu ihr und fragte: »Bist du müde?«, worauf sie schnell atmend antwortete: »Es war großartig!«

Mit einem Druck auf den Arm führte er sie in Richtung der Fichten. »Ich glaube, dieser Schlitten gehört Ned Hale. Jedenfalls lasse ich ihn dort, wo ich ihn gefunden habe.« Er zog den Schlitten bis zum Varnum-Tor und lehnte ihn gegen den Zaun. Als er sich aufrichtete, spürte er plötzlich Mattie in den Schatten ganz nah bei sich.

»Ist das der Ort, an dem sich Ned und Ruth geküsst haben?«, flüsterte sie atemlos und schlang ihre Arme um ihn. Ihre Lippen, die nach seinen tasteten, strichen über sein Gesicht, und er hielt sie in einem Anfall von Überraschung fest.

»Auf Wiedersehen«, stammelte sie und küsste ihn erneut.

»Oh, Matt, ich kann dich nicht gehen lassen«, brach es aus ihm heraus.

Sie befreite sich aus seinem Griff und er hörte sie schluchzen. »Oh, ich kann auch nicht gehen!«, jammerte sie.

»Matt! Was sollen wir tun? Was sollen wir nur tun?«

Sie klammerten sich wie Kinder an die Hände des anderen, und ihr Körper bebte vor verzweifelten Schluchzern.

Durch die Stille hindurch hörten sie die Kirchenuhr fünf schlagen.

»Oh, Ethan, es ist Zeit.«

Er zog sie wieder zu sich heran. »Zeit für was? Du glaubst doch nicht, dass ich dich jetzt verlassen werde?«

»Wenn ich meinen Zug verpasse, wo soll ich dann hin?«

»Wohin gehst du, wenn du ihn bekommst?«

Sie blieb stumm, ihre Hände lagen kalt und entspannt in seinen.

»Was hat einer von uns beiden davon, jetzt ohne den anderen irgendwohin zu gehen?«, sagte er.

Sie blieb regungslos, als hätte sie ihn nicht gehört. Dann entriss sie ihm ihre Hände, warf ihre Arme um seinen Hals und drückte eine plötzlich durchnässte Wange an sein Gesicht. »Ethan! Ethan! Ich will, dass du mich nochmal runterbringst!«

»Wohin runter?«

»Den Hügel. Ganz runter – jetzt gleich«, keuchte sie. »So, dass wir nie wieder hochkommen.«

»Matt! Was in aller Welt meinst du?«

Sie drückte ihre Lippen dicht an sein Ohr und sagte: »Genau in die große Ulme. Du hast gesagt, du könntest es. Damit wir uns nie mehr trennen müssen.«

»Aber was redest du denn da? Du bist ja verrückt!«

»Ich bin nicht verrückt, aber ich werde es sein, wenn ich dich verlasse.«

»Oh, Matt, Matt –», stöhnte er.

Sie drückte sich fester an seinen Hals. Ihr Gesicht lag dicht an seinem Gesicht.

»Ethan, wohin soll ich gehen, wenn ich dich verlasse? Ich weiß nicht, wie ich allein zurechtkommen soll. Das hast du vorhin selbst gesagt. Niemand außer dir war je gut zu mir. Und dann wird dieses fremde Mädchen im Haus sein ... und sie wird in meinem Bett schlafen, wo ich nachts lag und hörte, wie du die Treppe hochkamst ...«

Die Worte waren wie Bruchstücke, die ihm aus dem Herzen gerissen wurden. Mit ihnen kam die verhasste Vision von dem Haus, in das er zurückkehren würde – von der Treppe, die er jede Nacht hinaufgehen müsste, von der Frau, die dort auf ihn warten würde. Und die Süße von Matties Geständnis, das wilde Wunder, endlich zu wissen, dass all das, was ihm widerfahren war, auch ihr widerfahren war, machte die andere Vision noch verabscheuungswürdiger, das andere Leben noch unerträglicher, um dorthin zurückzukehren.

Ihr Flehen drang noch immer zwischen kurzen Schluchzern zu ihm durch, aber er hörte nicht mehr, was sie sagte. Ihr Hut war zurückgerutscht und er streichelte ihr Haar. Er wollte das Gefühl in seine Hand bekommen, damit es dort schläft wie ein Samen im Winter. Als er ihren Mund wiederfand, schienen sie zusammen am Teich in der brennenden Augustsonne zu sein. Aber seine Wange berührte ihre, und sie war kalt und voller Tränen, und er sah die Straße zu den Flats in der Nacht und hörte das Pfeifen des Zuges.

Die Fichten hüllten sie in Schwärze und Stille ein. Sie hätten in ihren Särgen unter der Erde liegen können. Er sagte zu sich selbst: »Vielleicht wird es sich so anfühlen.« und dann wieder: »Danach werde ich nichts mehr spüren.«

Plötzlich hörte er den alten Fuchs auf der anderen Straßenseite wiehern und dachte: »Er fragt sich, warum er sein Abendessen nicht bekommt.«

»Komm«, flüsterte Mattie und zerrte an seiner Hand.

Ihre düstere Gewalt fesselte ihn: Sie schien das verkörperte Instrument des Schicksals zu sein. Er zog den Schlitten hinaus und blinzelte wie ein Nachtvogel, als er aus dem Schatten der Fichten in die durchsichtige Dämmerung des offenen Geländes trat. Der Hang unter ihnen war menschenleer. Ganz Starkfield war beim Abendessen, und keine einzige Gestalt überquerte den offenen Platz vor der Kirche. Der Himmel, aufgequollen von den Wolken, die Tauwetter ankündigen, hing so tief wie vor einem Sommergewitter. Er prüfte seine Augen durch die Düsterkeit, und sie schienen weniger scharf, weniger fähig als sonst.

Er nahm auf dem Schlitten Platz, und Mattie setzte sich sofort vor ihn. Ihr Hut war in den Schnee gefallen und seine Lippen lagen in ihrem Haar. Er streckte die Beine aus, stieß seine Fersen in die Straße, um den Schlitten am Vorwärtsrutschen zu hindern, und beugte ihren Kopf zwischen seinen Händen zurück. Dann sprang er plötzlich wieder auf.

»Steh auf«, befahl er ihr.

Es war der Ton, auf den sie immer hörte, aber sie kauerte sich in ihrem Sitz zusammen und wiederholte vehement: »Nein, nein, nein!«

»Steh auf!«

»Warum?«

»Ich will vorne sitzen.«

»Nein, nein! Wie kannst du lenken, wenn du vorne sitzt?«

»Das muss ich nicht. Wir folgen der Spur.«

Sie sprachen im gedämpften Flüsterton, als ob die Nacht lauschen würde.

»Steh auf! Steh auf!«, drängte er sie, aber sie wiederholte es immer wieder: »Warum willst du vorne sitzen?«

»Weil ich – weil ich spüren will, wie du mich hältst«, stammelte er und zog sie auf die Beine.

Die Antwort schien sie zu befriedigen, oder sie gab der Macht seiner Stimme nach. Er beugte sich hinunter, tastete in der Dunkelheit nach der gläsernen Rutschbahn, die von den vorangegangenen Fahrern abgetragen wurde, und platzierte die Kufen vorsichtig zwischen ihre Ränder. Sie wartete, während er sich mit gekreuzten Beinen auf den vorderen Teil des Schlittens setzte; dann kauerte sie sich schnell an seinen Rücken und schlang ihre Arme um ihn. Ihr Atem in seinem Nacken ließ ihn erneut erschaudern, und er wäre beinahe von seinem Sitz aufgesprungen. Doch blitzartig erinnerte er sich an die Alternative. Sie hatte Recht: Das war besser als eine Trennung. Er lehnte sich zurück und zog ihren Mund zu seinem.

Gerade als sie losfuhren, hörte er wieder das Wiehern des Fuchses, und der vertraute sehnsüchtige Ruf und all die verworrenen Bilder, die er mit sich brachte, begleiteten ihn das erste Stück der Straße hinunter. Auf halber Strecke gab es ein plötzliches Gefälle, dann einen Anstieg, und danach eine weitere lange, berauschende Abfahrt. Als sie sich dazu aufschwangen, schien es ihm, als würden sie tatsächlich fliegen, weit hinauf in die wolkenverhangene Nacht, während Starkfield unermesslich weit unter ihnen lag und wie ein Staubkorn im All verschwand. Dann schoss die große Ulme vor ihnen empor, die an der Biegung der Straße auf sie wartete, und er sagte zwischen den Zähnen: »Wir können sie erwischen; ich weiß, dass wir sie erwischen können.«

Während sie auf den Baum zuflogen, drückte Mattie ihre Arme fester an ihn, und ihr Blut schien in seinen Adern zu fließen. Ein oder zweimal schwankte der Schlitten ein wenig unter ihnen. Er neigte seinen Körper, um ihn auf Kurs der Ulme zu halten, und wiederholte immer wieder zu sich selbst: »Ich weiß, dass wir sie erwischen können«, und kleine Sätze, die sie gesprochen hatte, gingen ihm durch den Kopf und tanzten vor ihm in der Luft. Der große Baum kam immer näher, und während sie sich auf ihn zubewegten, dachte er: »Er wartet auf uns. Er scheint es zu wissen.« Doch plötzlich drängte sich das Gesicht seiner Frau mit seinen verdrehten, monströsen Zügen zwischen ihn und sein Ziel, und er machte eine instinktive Bewegung, um es beiseite zu schieben. Der Schlitten geriet ins Schlingern, aber er fing ihn wieder, hielt ihn gerade und fuhr auf die schwarze ausladende Masse zu. Es gab einen letzten Moment, in dem die Luft wie Millionen glühender Drähte an ihm vorbeischoss, und dann die Ulme ...

Der Himmel war immer noch dicht, aber als er gerade nach oben blickte, sah er einen einzelnen Stern, und er versuchte vage zu erraten, ob es Sirius war, oder – oder – die Anstrengung ermüdete ihn zu sehr, und er schloss seine schweren Lider und dachte, er würde schlafen. Die Stille war so tief, dass er irgendwo in der Nähe unter dem Schnee ein kleines Tier zwitschern hörte. Es machte ein kleines, ängstliches Fiepen wie eine Feldmaus, und er fragte sich träge, ob es verletzt sei. Dann begriff er, dass es Schmerzen haben musste. Schmerzen, die so unerträglich waren, dass er sie auf geheimnisvolle Weise in seinem eigenen Körper zu spüren schien. Vergeblich versuchte er, sich in die Richtung des Geräusches zu drehen, und streckte den linken Arm über den Schnee aus. Und nun war es, als ob er das Zwitschern eher fühlte als hörte; es schien unter seiner Handfläche zu sein, die auf etwas Weichem und Federndem ruhte. Der Gedanke an das Leiden des Tieres war für ihn unerträglich, und er mühte sich, sich aufzurichten, konnte es aber nicht, weil ein Stein oder eine große Masse auf ihm zu liegen schien. Aber er fuhr fort, mit seiner linken Hand vorsichtig herumzutasten, in der Hoffnung, das kleine Wesen zu erreichen und ihm zu helfen, und mit einem Mal wusste er, dass das weiche Ding, das er berührt hatte, Matties Haar war und dass seine Hand auf ihrem Gesicht lag.

Er schleppte sich auf die Knie, die ungeheure Last auf ihm bewegte sich mit ihm, und seine Hand fuhr über ihr Gesicht, und er spürte, dass das Zwitschern von ihren Lippen kam.

Er drückte sein Gesicht dicht an ihr Gesicht, mit dem Ohr an ihrem Mund, und in der Dunkelheit sah er, wie sich ihre Augen öffneten, und hörte, wie sie seinen Namen sagte.

»Oh, Matt, ich dachte, wir würden ihn erwischen«, stöhnte er, und weit weg, den Hügel hinauf, hörte er den Fuchs wiehern und dachte: »Ich sollte ihm sein Futter bringen.«